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» Es ist ein eigentümlicher Apparat « I.) 1 den der Künstler erschaffen hat und der in seiner Umkehrung einem Pulsschreiber Abb. _02 aus der Mitte des 19. Jahrhunderts nicht unähnlich ist. "Kurt", so der Titel - beziehungsweise der Name des feinmechanischen Kunstwerkes, tätowiert in einer einmaligen Aktion seinen Erbauer am Unterarm.
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Zeichnet der Sphygmograph von Marey II.) 2 um 1860 noch den regelmäßigen Pulsschlag der Patienten auf Papierstreifen nach, signiert Kurt mit algorithmischer Zufälligkeit 2002 die Haut seines Schöpfers. |
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Der Graph, III.) 3 wie er in der Medizin als diagnostisches Werkzeug Verwendung findet, und dort als mechanische Repräsentation eines lebenden Organismus zu verstehen ist, wird zum Zeichen der Maschine selbst. Aber im Gegensatz zu Kafkas sadistischem Justizapparat "In der Strafkolonie" I.) 1 tötet Kurt seine Opfer nicht, wenn er sein Zeichen in ihre Haut ritzt. |
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Konfrontiert mit dem Körper, dient die Haut auch einem weiteren Objekt als unmittelbare Schnittstelle. "Volker" verführt den Betrachter, von der Möglichkeit einer männlichen Schöpfung durch Erfindung zu wissen. Nackt klammert sich dieser Roboter um den Menschen, erweitert sich selbst durch den lebenden Organismus zum "Prothesengott" einer technischen Evolution.
Mit der Übertragung dieser Freudschen Vorstellung vom unvollkommenen Wesen, das seine Schwächen durch Werkzeuge ausgleicht, auf den Automaten, wird Empfindungsfähigkeit und kreatürliche Verletzbarkeit wie selbstverständlich sein eigen. |
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Ausgestattet mit dem formalen Repertoire moderner Medienmythen — Tetsuo, Cyborgs
oder Matrix prägen das populäre Umfeld dieser Arbeiten — gelingt es dem Künstler, den Sündenfall durch Technologie, klassischen Bildprogrammen folgend, als sinnliche Episode, (auto)erotisch zu stilisieren.
Echte Scham IV.) 4 erfüllt uns moderne Menschen ohnehin lediglich angesichts unserer eigenen Erfindungen, die uns unsere Unzulänglichkeit vorhalten. Wir scheitern am Versuch unseren Konstruktionen zu entsprechen. Verfehlt selbst eine Maschine dieses Ideal, verdient sie unser Mitleid. |
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"Krüppel" ist ein unvollkommener Apparat. Eingeschränkt in seiner Motorik, erbärmlich ächzend, siecht er als kinetisches Kunstwerk dahin. Dieses Objekt von Nikolaus Passath zeigt, dass der seltsame Makel » geworden statt gemacht zu sein « IV.) 4 zumindest als Projektion auch für Automaten spürbar ist. |
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- IN:
'Sämtliche Erzählungen' von Franz Kafka, herausgegeben von Paul Raabe, veröffentlicht im Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 1994
http://books.google.com/
http://www.books-by-isbn.com/
1 a 'In der Strafkolonie' von Franz Kafka (online)
» "Es ist ein eigentümlicher Apparat," sagte der Offizier zu dem Forschungsreisenden und überblickte mit einem gewissermaßen bewundernden Blick den ihm doch wohlbekannten Apparat. […] « [Seite 100|
- IN:
'The Virtual Laboratory. Essays and Resources on the Experimentalization of Life, 1830-1930' vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin [ISSN 1866-4784] online seit 2002 http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/ […]
2 Marey,
Étienne Jules, 1830 – 1904
Unter anderem Pionier der Medizintechnik und Erfinder eines praktikablen Sphygmographen. Abb. _02
http://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/ 2
http://de.wikipedia.org/
- IN:
'form + zweck' 16 / 1999 / 31.Jahrgang, Berlin http://www.formundzweck.com/
3 'Information auf einen Blick - Zur Geschichte der Diagramme' von Joachim Krausse [Seite 4 - 23]
Abb. _02 Sphygmograph (Pulsschreiber) von Marey, II.) 2 um 1860
Bildunterschrift: » Pulsschreiber (Sphygmograph) von
Étienne-Jules Marey, 1860 « [Seite 16]
Eine sehr ähnliche Darstellung mit detaillierten Herkunftsangaben findet sich auch bei:
vlp.mpiwg-berlin.mpg.de
und in einer Variante wieder bei: vlp.mpiwg-berlin.mpg.de
- 'Die Antiquiertheit des Menschen (Band 1) Über die Seele im Zeitalter der zweiten industriellen Revolution' von Günther Anders, veröffentlicht bei C.H. Beck, München 2002 [Erstveröffentlichung 1956]
http://books.google.com/
http://www.buecher-nach-isbn.info/
http://www.history.ucsb.edu/
4 a » […] In seiner fleischlichen Tölpelhaftigkeit, in seiner kreatürlichen Ungenauigkeit vor den Augen der perfekten Apparaturen stehen zu müssen, war ihm wirklich unerträglich; er schämte sich wirklich –
Versuche ich, dieser "prometheischen Scham" nachzugehen, so erscheint als deren Grundgegenstand, also der "Grundmakel" des sich-Schämenden, die Herkunft. T. schämt sich, geworden, statt gemacht zu sein, der Tatsache also, im Unterschied zu den tadellosen und bis ins Letzte durchkalkulierten Produkten, sein Dasein dem blinden und unkalkulierten, dem höchst altertümlichen Prozeß der Zeugung und der Geburt zu verdanken. […] Wenn er sich aber dieser seiner antiquierten Herkunft schämt, so natürlich auch des mangelhaften und unentrinnbaren Ergebnisses dieser Herkunft: seiner selbst.* « [Seite 23, 24]
Siehe Prometheus
- Nikolaus Passath
Abb. _01 Abb. _03 'Kurt' 2002, Foto von Sue Sellinger
Video von David Kleinel
Abb. _04 'Volker' 2004, Foto von Christian Stiendl
Video 2 von Ella Esque
Abb. _05 'Krüppel' 2005 [seit 2007 'Something For The Pain']
Mit der freundlichen Genehmigung von Nikolaus Passath. Alle Bildrechte liegen beim Künstler.
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